Digitale Gewalt und erzwungene Selbstproduktion: Eine unsichtbare Gefahr für Kinder und Jugendliche
Immer wieder berichten Jugendliche und junge Erwachsene von tiefen psychischen Belastungen – sozialem Rückzug, Selbstverletzung, Essstörungen oder Suchtverhalten. Für ihr Umfeld bleibt oft unklar, woher diese Probleme kommen. Viele Betroffene haben große Schwierigkeiten, über ihre Erlebnisse zu sprechen, sei es aus Scham, Schuldgefühlen oder weil sie selbst nicht vollständig verstehen, was mit ihnen geschehen ist.
Besonders alarmierend ist eine Form digitaler Gewalt, die kaum sichtbar ist: die erzwungene „selbstproduzierte“ Erstellung von Missbrauchsdarstellungen (Coerced Self-Produced Child Sexual Exploitation Material, CSEM). Betroffene glauben häufig, sie hätten intime Bilder oder Videos freiwillig erstellt, ohne zu erkennen, dass sie manipuliert, unter Druck gesetzt oder sogar erpresst wurden.
Es ist entscheidend, dieses Phänomen zu verstehen, um Betroffene zu schützen und effektive Präventionsstrategien zu entwickeln.
Fünf Formen erzwungener „selbstproduzierter“ Missbrauchsdarstellungen
Eine aktuelle Studie von Bloxsom et al. (2024) identifiziert fünf zentrale Strategien, mit denen Täter:innen Kinder zur Produktion sexueller Inhalte zwingen:
1️⃣ Solicitation (Direkte Aufforderung): Täter:innen fordern Kinder direkt auf, intime Bilder zu erstellen – oft unter falscher Identität oder mit emotionaler Manipulation („Wenn du mich liebst, schickst du mir ein Bild“).
2️⃣ Peer Sexting (Druck durch Gleichaltrige): Jugendliche werden von Freund:innen oder Mitschüler:innen massiv unter Druck gesetzt, intime Bilder zu teilen, aus Angst vor sozialer Ausgrenzung.
3️⃣ Viral Challenges (Internet-Trends): Was harmlos beginnt, kann schnell eskalieren: Jugendliche nehmen an Online-Challenges teil, ohne zu merken, dass sie sexuelle Inhalte erstellen, die von Täter:innen gezielt missbraucht werden.
4️⃣ Sextortion (Erpressung mit existierendem Material): Täter:innen drohen, bereits erhaltene Bilder zu veröffentlichen, falls das Kind nicht weiteres Material schickt. Diese psychische Erpressung führt oft zu massiver Angst und Isolation.
5️⃣ Financial Coercion (Finanzielle Nötigung): Kinder werden mit Geld, digitalen Geschenken oder Kleidung gelockt, um intime Inhalte zu erstellen – oft ohne zu erkennen, dass sie in eine Spirale der Ausbeutung geraten.
Diese Strategien machen deutlich: Die betroffenen Kinder handeln nicht freiwillig. Sie werden manipuliert, bedroht und in eine Situation gebracht, aus der sie keinen Ausweg sehen.
Wie Täter:innen gezielt manipulieren
Täter:innen nutzen gezielt psychologische Strategien, um Kinder und Jugendliche zur Preisgabe intimer Inhalte zu bringen. Dazu gehören:
🔹 Grooming und emotionale Bindung: Täter:innen bauen über Wochen oder Monate ein Vertrauensverhältnis auf, geben sich als Freund:in oder potenzielle Liebespartner:in aus und steigern langsam ihre Forderungen.
🔹 Sozialer Druck und Normalisierung: „Alle machen das“, „Es ist nichts Schlimmes“ – viele Jugendliche lassen sich durch diese manipulativen Aussagen überreden.
🔹 Scham und Schuldgefühle: Kinder werden so manipuliert, dass sie glauben, selbst schuld zu sein oder dass sie der Täter:in etwas „schulden“.
🔹 Einschüchterung und extreme Drohungen: Besonders bei Sextortion drohen Täter:innen, Bilder an Familie oder Freund:innen zu schicken oder sogar Gewalt anzuwenden, um Betroffene zu weiteren Handlungen zu zwingen.
🔹 Belohnungssysteme: Durch finanzielle Anreize oder Online-Geschenke werden Kinder schrittweise in einen Kreislauf der Ausbeutung gezogen.
Diese Mechanismen zeigen: Kinder, die solche Bilder erstellen, tun dies nicht aus freiem Willen – sie sind Opfer von Manipulation und Zwang.
Warum Prävention und Aufklärung so wichtig sind
Digitale Gewalt wird noch immer unterschätzt – und viele betroffene Kinder und Jugendliche schämen sich, darüber zu sprechen. Um sie zu schützen, braucht es:
✅ Mehr Bewusstsein bei Eltern, Fachpersonen und Schulen: Lehrer:innen, Sozialarbeiter:innen und Therapeut:innen müssen lernen, Warnsignale zu erkennen und sensibel nachzufragen.
✅ Klare Botschaften an Kinder und Jugendliche: Sie müssen wissen, dass sie niemals schuld sind, wenn sie in eine solche Situation geraten.
✅ Striktere Gesetze und Plattformverantwortung: Soziale Netzwerke und Technologieunternehmen müssen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Täter:innen Raum für Manipulation geben.
✅ Niedrigschwellige Anlaufstellen für Betroffene: Viele Jugendliche schämen sich oder haben Angst vor rechtlichen Konsequenzen. Es braucht sichere Räume, in denen sie Unterstützung finden.
Fazit: Kein Kind ist für seine eigene Ausbeutung verantwortlich
Die Studie von Bloxsom et al. (2024) zeigt, dass digitale sexuelle Gewalt oft noch nicht ausreichend erkannt wird. Kinder, die „selbstproduziertes“ Missbrauchsmaterial anfertigen, handeln nicht freiwillig – sie werden getäuscht, unter Druck gesetzt oder erpresst.
Es ist unsere Aufgabe als Gesellschaft, diese Mechanismen zu verstehen, Betroffene zu schützen und Täter:innen konsequent zur Verantwortung zu ziehen.
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