Schwerst traumatisierte Klienten in der ambulanten Betreuung: Zwischen Stabilisierung und Alltag
Trauma ist kein Ereignis, das in der Vergangenheit liegt – es lebt in den Körpern, Gedanken und Gefühlen der Betroffenen weiter. Besonders für schwerst traumatisierte Menschen, die in der ambulanten Betreuung begleitet werden, stellt der Alltag eine ständige Herausforderung dar. Wie können wir als Fachkräfte in der Spitex diesen Menschen gerecht werden und gleichzeitig unsere eigenen Grenzen wahren?
Trauma verstehen: Ein Leben im Überlebensmodus
Menschen, die schwere Traumata erlebt haben – sei es durch Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung oder Fluchterfahrungen –, leben oft in einem ständigen Alarmzustand. Ihr Nervensystem ist darauf programmiert, Gefahren zu erkennen und darauf zu reagieren. Das kann sich äußern durch:
- Hypervigilanz: Permanente Anspannung und Wachsamkeit
- Dissoziation: Sich wie „abgeschaltet“ oder nicht real fühlen
- Emotionales Chaos: Schnelle Stimmungsschwankungen, Wut, Verzweiflung
- Körperliche Beschwerden: Chronische Schmerzen, Schlafprobleme, Erschöpfung
In der psychosozialen Spitex begegnen wir diesen Symptomen täglich – doch oft werden sie missverstanden. Klienten, die sich zurückziehen oder aggressiv wirken, haben meist keine bewusste Kontrolle über ihr Verhalten. Es ist ihr Nervensystem, das in alten Überlebensstrategien gefangen ist.
Die Kunst der Stabilisierung
Bevor therapeutische Prozesse greifen, brauchen schwerst traumatisierte Menschen vor allem eines: Sicherheit. In der ambulanten Betreuung bedeutet das, Strukturen zu schaffen, die Halt geben:
- Verlässlichkeit und Transparenz: Klare Absprachen, feste Bezugspersonen und transparente Kommunikation verhindern Unsicherheiten.
- Kleine Schritte, große Wirkung: Alltagstätigkeiten wie Einkaufen oder Termine wahrnehmen können enorme Herausforderungen sein. Eine einfühlsame Begleitung hilft, Überforderung zu vermeiden.
- Selbstbestimmung fördern: Klienten, die jahrelang Kontrolle über ihr Leben verloren haben, brauchen Entscheidungsfreiheit – selbst in kleinen Dingen wie Essensplanung oder Tagesstruktur.
- Den Körper mit einbeziehen: Atemübungen, Bewegung oder beruhigende Rituale können helfen, das Nervensystem zu regulieren.
Die Herausforderung für Fachkräfte: Grenzen erkennen und wahren
Die Arbeit mit schwerst traumatisierten Klienten kann emotional herausfordernd sein. Fachkräfte müssen nicht nur den Klienten Halt geben, sondern auch auf sich selbst achten. Regelmäßige Supervision, Team-Austausch und Selbstfürsorge sind essenziell, um langfristig gesund und empathisch arbeiten zu können.
Trauma-sensitive Betreuung als Schlüssel
Schwerst traumatisierte Klienten brauchen mehr als klassische Pflege – sie brauchen Menschen, die ihr Nervensystem verstehen und Stabilität bieten. In der psychosozialen Spitex ist eine trauma-sensible Haltung der Schlüssel zu einer Begleitung, die nicht nur „versorgt“, sondern nachhaltig hilft.